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Mehr als nur Fähigkeiten: Der entscheidende Unterschied zwischen Kompetenzen und Stärken

Ich liebe Interviews und Vorstellungsgespräche und durfte davon in meinen Führungsverwendungen auch schon eine ganze Menge Termine begleiten. Man hat da ja so mit der Zeit ein kleines Set an Lieblingsfragen für sich erarbeitet und natürlich darf bei mir eine Frage nicht fehlen:
Was sind Deine größten Stärken?

Die Antworten kamen prompt, doch sie überraschten mich häufig. Zum Beispiel in der Art: ‚Ich bin gut im Projektmanagement‘, sagte eine. ‚Ich spreche fließend drei Sprachen‘, fügte ein anderer hinzu. Und das war nicht die Ausnahme, sondern eher die Regel. Hier wird also etwas Grundlegendes verwechselt. Anstatt von Stärken im Sinne von charakterlichen Eigenschaften und natürlichen Talenten zu sprechen, zählten die Kandidatinnen und Kandidaten ihre erworbenen Kompetenzen und Fähigkeiten auf.

Diese Verwechslung ist kein Einzelfall. Sie zeigt eine verbreitete Tendenz in unserer Gesellschaft: Wir neigen dazu, unsere beruflichen Qualifikationen und Fertigkeiten als unsere ‚Stärken‘ zu betrachten, während unsere eigentlichen, persönlichen Stärken oft im Schatten bleiben. Doch was genau ist der Unterschied zwischen einer Kompetenz und einer Stärke? Warum ist es wichtig, diesen Unterschied zu verstehen, und wie kann das Wissen darum unsere berufliche Laufbahn und persönliche Entwicklung beeinflussen?

In diesem Artikel möchte ich diese Fragen erforschen und aufzeigen, wie ein klares Verständnis unserer echten Stärken und Kompetenzen nicht nur unsere eigene Karriere, sondern auch die Art und Weise, wie wir im Berufsleben agieren und interagieren, positiv beeinflussen kann.

Beginnen wir mit einem Definitionsversuch:

Kompetenzen sind erlernbare Fähigkeiten, Kenntnisse und Erfahrungen. Sie umfassen messbare oder erwerbbare Fertigkeiten, die typischerweise durch Ausbildung, Training oder praktische Erfahrung entwickelt werden. Beispiele für Kompetenzen sind Fachwissen in spezifischen Bereichen wie Finanzmanagement oder Softwareentwicklung, Sprachkenntnisse, technische Fähigkeiten und Soft Skills wie Teamführung und effektive Kommunikation. Sie können durch formale Bildung, berufliche Weiterbildung und praktische Erfahrung erweitert werden.

Stärken hingegen sind inhärente Eigenschaften einer Person, oft angesehen als natürliche Talente oder Charakterzüge. Sie sind Teil der Persönlichkeit und tief in der individuellen Identität verwurzelt. Zu den Stärken gehören angeborene Talente wie künstlerische Kreativität oder ein intuitives Verständnis für Zahlen, Charaktereigenschaften wie Empathie und Geduld sowie persönliche Qualitäten wie Ausdauer und Flexibilität. Stärken können durch Selbstreflexion, Feedback und bewusste Praxis weiterentwickelt werden, sind jedoch nicht im gleichen Maße ‚erlernbar‘ wie Kompetenzen.

Zusammengefasst sind Kompetenzen spezifische, erlernbare Fähigkeiten, während Stärken breitere, oft angeborene Eigenschaften einer Person sind. Beide spielen eine wichtige Rolle in der persönlichen und beruflichen Entwicklung.

Warum fällt uns diese Unterscheidung so schwer?

Die Schwierigkeit, zwischen Kompetenzen und Stärken zu unterscheiden, hat ihre Wurzeln sowohl in gesellschaftlichen Normen als auch in der persönlichen Wahrnehmung. In einer von Leistung und messbaren Ergebnissen dominierten Gesellschaft liegt der Fokus stark auf Kompetenzen – den erlernbaren und quantifizierbaren Fähigkeiten. Diese werden schon früh in Schulen und anderen Bildungseinrichtungen gefördert und sind oft die Basis für beruflichen Aufstieg und Anerkennung. Da Kompetenzen durch Zertifikate, Abschlüsse und spezifische Leistungen nachweisbar sind, neigen wir dazu, sie als primäre Indikatoren für unsere berufliche Eignung zu betrachten.

Gleichzeitig fällt es vielen Menschen schwerer, über ihre echten Talente – also ihre natürlichen Stärken – zu sprechen. Diese Stärken, wie Kreativität, Einfühlungsvermögen oder Führungsqualitäten, sind oft tief in der Persönlichkeit verwurzelt und werden als selbstverständlich angesehen. Sie sind nicht immer offensichtlich oder leicht zu messen, und in traditionellen Bildungs- und Berufswegen wird ihnen weniger Aufmerksamkeit geschenkt. Daher werden sie oft unterschätzt und weniger im beruflichen Kontext hervorgehoben.

Zudem gibt es eine gewisse Scheu, über persönliche Talente offen zu sprechen, da dies manchmal als Selbstüberschätzung oder Prahlen missverstanden werden könnte. Dies führt zu einer Situation, in der individuelle Stärken im Schatten der formalen Kompetenzen stehen und ihre Bedeutung für den persönlichen und beruflichen Erfolg nicht vollständig erkannt wird. Dieses Ungleichgewicht in der Wahrnehmung und Anerkennung von Kompetenzen und Stärken ist eine Herausforderung, die es in der modernen Arbeitswelt zu überwinden gilt.

Was ist denn nun wichtiger?

Die Betonung sollte nicht auf einem „Entweder-oder“ zwischen Kompetenzen und Stärken liegen, sondern auf der Erkenntnis, dass die Kombination beider Elemente der Schlüssel zum Erfolg ist. Kompetenzen sind unerlässlich für die Ausführung spezifischer Aufgaben und Funktionen; sie bilden das technische Fundament in einem Berufsbild. Andererseits sind persönliche Stärken das, was einem Individuum erlaubt, diese Aufgaben auf eine einzigartige und oft effektivere Weise auszuführen. Stärken wie Anpassungsfähigkeit, Kreativität oder emotionale Intelligenz ermöglichen es, Herausforderungen auf innovative Weise zu begegnen und in einem Teamumfeld zu glänzen.

Die Synergie aus Kompetenzen und Stärken führt zu einer ganzheitlichen Arbeitsweise. Eine Person, die sowohl über die notwendigen Kompetenzen als auch über starke persönliche Eigenschaften verfügt, kann Aufgaben nicht nur erfüllen, sondern auch neue Perspektiven und Lösungsansätze einbringen. Dies ist besonders in Zeiten des schnellen Wandels und der Unsicherheit wertvoll, wo Flexibilität und Kreativität genauso gefragt sind wie technisches Wissen und Fachkenntnisse.

Unternehmen und Organisationen, die sowohl die Kompetenzen als auch die Stärken ihrer Mitarbeiter erkennen und fördern, schaffen eine dynamischere und innovativere Arbeitsumgebung. Dies führt nicht nur zu einer höheren Mitarbeiterzufriedenheit und -bindung, sondern auch zu einer gesteigerten Gesamtleistung. Daher ist es entscheidend, dass sowohl in der persönlichen Karriereplanung als auch in der Unternehmenskultur ein ausgewogenes Verständnis und eine Wertschätzung für die Kombination aus Kompetenzen und Stärken entwickelt wird.

Die Kompetenz-Stärken-Synergie-Matrix

Die Erkenntnis, dass sowohl Kompetenzen als auch Stärken für den beruflichen Erfolg entscheidend sind, führt uns zu einer nützlichen Methode, um zu verstehen, wie diese beiden Elemente in verschiedenen Kombinationen auftreten können: die Kompetenz-Stärken-Synergie-Matrix. Diese Matrix ermöglicht es, Personen basierend auf dem Zusammenspiel ihrer Kompetenzen und Stärken in vier unterschiedliche Kategorien einzuteilen.

Die vier Quadranten dieser Matrix stellen unterschiedliche Kombinationen von hohen oder niedrigen Ausprägungen in Kompetenzen und Stärken dar. Jeder Quadrant repräsentiert eine spezifische Gruppe von Individuen, die jeweils ihre einzigartigen Herausforderungen und Potenziale in Bezug auf berufliche Entwicklung und Leistung aufweisen.

Hohe Kompetenz, Hohe Stärke: Die Superhelden

Dieser Quadrant repräsentiert Personen, die sowohl in ihren fachlichen Kompetenzen als auch in ihren persönlichen Stärken stark sind. Sie sind in der Lage, Aufgaben effizient und effektiv auszuführen, zeigen hervorragende Leistungen und passen gut in ihre Rolle oder Beruf.

Beispiel: Ein erfahrener Softwareentwickler mit ausgeprägten technischen Fähigkeiten (Kompetenz) und einer starken Problemlösungsfähigkeit (Stärke).

Diese Gruppe trägt erheblich zum Unternehmenserfolg bei. Ihre Fähigkeit, Aufgaben kompetent und mit persönlichen Stärken zu erfüllen, kann zu höherem Umsatz und Ertrag führen. Ihre Ausgewogenheit fördert auch eine positive Arbeitsumgebung, was die Mitarbeiterzufriedenheit und das Wohlbefinden steigert.

Hohe Kompetenz, Niedrige Stärke: Die Zauberer

Personen in diesem Quadranten verfügen über die erforderlichen fachlichen Fähigkeiten, aber es mangelt ihnen an persönlichen Stärken, die für die optimale Ausübung ihrer Rolle erforderlich sind. Sie können Aufgaben erledigen, aber es fehlt ihnen möglicherweise an Soft Skills wie Teamfähigkeit oder Kreativität.

Beispiel: Ein hochqualifizierter Buchhalter, der ausgezeichnete Kenntnisse in Finanzmanagement hat (Kompetenz), aber Schwierigkeiten in der Teamarbeit und Kommunikation zeigt (Stärken).

Während ihre hohe Kompetenz zum finanziellen Erfolg des Unternehmens beitragen kann, könnte ihr Mangel an persönlichen Stärken das Teamklima und die allgemeine Mitarbeiterzufriedenheit beeinträchtigen. Gezielte Personalentwicklung in diesen Bereichen kann ihre Effektivität und ihren Beitrag zum Wohlbefinden am Arbeitsplatz steigern.

Niedrige Kompetenz, Hohe Stärke: Die Entdecker

Dieser Quadrant beschreibt Personen, die zwar über wertvolle persönliche Stärken verfügen, aber nicht die notwendigen fachlichen Kompetenzen für ihre Rolle haben. Diese Personen könnten in anderen Rollen, die besser zu ihren Stärken passen, erfolgreich sein.

Beispiel: Ein Verkaufsmitarbeiter, der hervorragende zwischenmenschliche Fähigkeiten und Überzeugungskraft hat (Stärken), aber nur begrenztes Wissen über die Produkte hat, die er verkauft (Kompetenz).

Ihre persönlichen Stärken können zu einem positiven Arbeitsklima und hoher Mitarbeiterzufriedenheit beitragen. Ihre fachliche Weiterentwicklung ist jedoch entscheidend, um auch einen direkten Beitrag zum Umsatz und Ertrag des Unternehmens zu leisten.

Niedrige Kompetenz, Niedrige Stärke: Die Lehrlinge

Personen in diesem Quadranten haben sowohl in fachlichen Kompetenzen als auch in persönlichen Stärken Defizite. Sie könnten Schwierigkeiten haben, ihre Aufgaben zu erfüllen, und benötigen möglicherweise zusätzliche Schulung oder eine Neuausrichtung ihrer Karriere.

Beispiel: Ein neuer Mitarbeiter in einer Marketingabteilung, der weder über spezifische Marketingkenntnisse verfügt (Kompetenz) noch über ausgeprägte kreative oder analytische Fähigkeiten (Stärken).

Diese Gruppe steht vor der größten Herausforderung, einen direkten Beitrag zu den Unternehmenszielen zu leisten. Ihre Entwicklung in beiden Dimensionen ist entscheidend. Mit der richtigen Förderung können sie jedoch zu einer wichtigen Ressource für das Unternehmen werden, sowohl hinsichtlich der finanziellen Ziele als auch in Bezug auf das Mitarbeiterwohlbefinden.

Diese Matrix ist nicht nur ein Werkzeug zur Selbstreflexion, sondern auch ein Leitfaden für Personalverantwortliche, um die individuellen Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter zu verstehen und sie entsprechend zu fördern.

Was ist jetzt wichtig?

Für EntscheiderInnen und Verantwortliche sind drei Schlüsselschritte entscheidend, um das Potenzial aus Kompetenzen und Stärken voll auszuschöpfen:

  1. Bewusstsein und Unterscheidung fördern: Klären Sie den Unterschied zwischen Kompetenzen und Stärken im Unternehmen und betonen Sie die Bedeutung beider für den Erfolg.
  2. Gezielte Entwicklung unterstützen: Erstellen Sie individuelle Entwicklungspläne, die sowohl die Kompetenzen als auch die persönlichen Stärken berücksichtigen, um ein ganzheitliches Wachstum der Mitarbeiter zu fördern.
  3. Kultur des Lernens etablieren: Schaffen Sie eine Unternehmenskultur, die kontinuierliche Verbesserung und persönliche Entwicklung unterstützt, um die Gesamtleistung und Mitarbeiterzufriedenheit zu steigern.

Ein Gedanke zu „Mehr als nur Fähigkeiten: Der entscheidende Unterschied zwischen Kompetenzen und Stärken“

  1. Vielen Dank für diesen wertvollen Artikel, der genau das offen anspricht, was im Alltag permanent praktiziert wird und wo wir dringend ein Umdenken und eine differenzierte Betrachtung benötigen.
    Meiner Erfahrung nach kommt hinzu, dass viele Menschen ihre natürlichen Fähigkeiten, ihre Stärken, ihr Talent selbst nur unzureichend entdeckt und erschlossen haben.
    Oft gelingt dies besser unter Zuhilfenahme von Dritten, die den Betreffenden schon eine geraume Zeit kennen und sein Talent wahrgenommen bzw. erlebt haben.
    Ich bin der Meinung, dass wenn wir das Talent von Menschen erschliessen, erst zu einer außergewöhnlichen und nachhaltigen Performance – auch für das Unternehmen – kommen. Gleichzeitig „quält“ sich der Mitarbeiter nicht mit seiner Arbeit, sondern macht diese mit Freude und Leichtigkeit. Im Talent steckt so viel und wenn Talent und Interesse zusammen kommen, dann lassen sich auch Kompetenzen im Nu aneignen. Die Zukunft der Unternehmen ist das Erkennen und Einlassen auf die Talente der Individuen und das geeignete „Zusammenpuzzeln“ dieser Fähigkeiten. Wenn wir das ausbauen, ist der Fachkräftemangel Vergangenheit, die Mitarbeiterzufriedenheit steigt und das Unternehmensergebnis auch. Die Betriebe, die das heute schon tun, sind ganz vorne mit dabei. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis der Markt sich spürbar mehr dahin dreht … und das ist gut so.

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